Warum CrossFit Girls stärker sind als Du
Die weibliche Krafttrainingsrevolution
Hat irgendetwas die weibliche Super-Fitness weiter vorangebracht als CrossFit? Das ist eine rhetorische Frage und die Antwort ist ganz offensichtlich ein „nein“. Aufgrund der Popularität von CrossFit trainieren heute mehr Frauen als je zuvor mit Gewichten, werden stärker als je zuvor und sehen besser aus als je zuvor. Weder Bodybuilding noch das beliebte „Bodybuilding light“ – Figurklasse, Bikiniklasse, usw. – haben so viele Frauen wie CrossFit angezogen. Egal ob Du CrossFit liebst oder hasst, das sind die Fakten. In der Vergangenheit habe ich CrossFit mit so wenig schmeichelhaften Bezeichnungen wie „Scientologie der Fitness“ betitelt, aber es ist schwer die Legionen von extrem trainierten, irre starken Frauen zu übersehen, die überall auftauchen.
Damals in den Achtzigern, als ich gerade meine Trainerkarriere begann, war eine Frau, die Umsetzen und Drücken mit 65 Kilo ausführen konnte genauso selten, wie jemand, der Kreuzheben bei Planet Fitness ausführte. Heute zutage findet man hingegen viele Frauen, die die „Königin der Gewichtheberübungen“ mit 90 Kilo ausführen können. Vor drei Jahrzehnten war der einzige Ort, an dem Du eine Frau mit einem Sixpack sehen konntest, ein Bodybuilding Wettkampf. Heute ist ein Sixpack bei Frauen nichts Besonderes mehr und dies hängt größtenteils mit CrossFit zusammen.
Schauen wir über die Defizite von CrossFit hinweg
Ich kann bereits die Einwände hören, die in Deinem Gehirn aufzukeimen beginnen. Du denkst, dass CrossFit gefährlich ist, dass die alle Steroide verwenden, usw., usw. Aber weißt Du was? Genau wie bei den besten Sportlern laufen auch bei so ziemlich allen beliebten Trainingssystemen einige Dinge falsch, aber im Endeffekt sind diese Sportler und Trainingssysteme trotzdem erfolgreich, da sie so viele andere Dinge richtig machen. Es gibt einfach kein absolut perfektes Trainingsprogramm. Lasst uns über die Defizite von CrossFit hinwegsehen und versuchen herauszufinden, warum dieses Trainingssystem so viele verdammt starke Frauen hervorbringt, die bereits bei ihrem Aufwärmtraining den durchschnittlichen männlichen Trainierenden übertreffen werden. Nachdem ich das CrossFit Phänomen über einige Jahre interessiert verfolgt habe, konnte ich vier primäre Gründe dafür isolieren, dass Du wahrscheinlich auf dem letzten Platz landen würdest, wenn Du an den nächsten CrossFit Regionalmeisterschaften für Frauen teilnehmen würdest. (Ach ja, Du hättest wahrscheinlich auch die schlechtesten Bauchmuskeln von allen Teilnehmern.) Anmerkung: Auch männliche CrossFit Athleten sind keine Luschen und viele von ihnen könnten erfolgreich an Meisterschaften im olympischen Gewichtheben, Powerlifting Meisterschaften und Bodybuilding Wettkämpfen teilnehmen (was viele auch tatsächlich tun). Lass Dich also nicht vom Fokus auf weibliche CrossFit Athleten davon ablenken, dass es hier viel für alle von uns zu lernen gibt.
Grund Nummer 1 – die Arbeitskapazität
Wie viele Stunden pro Woche trainierst Du? Ich trainiere zwischen 8 und 10 Stunden pro Woche. Das mag nach recht viel klingen, aber ich stehe mit einer Reihe von CrossFit Trainern und CrossFit Wettkampfathleten in Kontakt und weiß, dass CrossFit Wettkampfathleten auf einem hohen Level zwischen 6 und 8 Stunden pro Tag trainieren – zumindest dann, wenn sich die CrossFit Games nähern. Das bedeutet, dass diese Sportler und Sportlerinnen etwa 4 bis 5 mal mehr als Du trainieren und es schaffen, sich von dieser Menge an Training zu regenerieren. Machst Du Dir Sorgen darüber, ins Übertraining zu kommen? Hey, ich kann das verstehen, aber je länger ich trainiere, desto weniger Gedanken mache ich mir über dieses vielgefürchtete Leiden. Erinnere Dich daran, dass das Trainingsvolumen – und somit die Arbeitslast - der Schlüsselfaktor für ein Muskelwachstum ist. Solange sich Deine Intensität bei 60% des 1RM oder darüber befindet, wirst Du umso mehr Adaptionen erzielen, je mehr Arbeit Du verrichtest (so lange Du Dich ausreichend von dieser Arbeit erholen kannst).
Ich bin genauso fasziniert von der Arbeitslast dieser CrossFit Wettkampfathletinnen wie Du, aber ich führe diese auf das langsame Schwinden der wissenschaftlichen Ignoranz zurück. Einige Leser werden zu jung sein, um dies zu wissen, aber das IOC hat es Frauen bis in die Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht erlaubt, an Marathon Wettkämpfen teilzunehmen, da die weit verbreitete Annahme vorherrschte, dass das „schwache Geschlecht“ nicht dazu in der Lage sei, mit den Belastungen durch solch lange Distanzen zurecht zu kommen. Heute – nur etwa drei Jahrzehnte später – ist der Marathon Weltrekord bei Frauen nur etwa 15 Minuten langsamer als der von Männern. Ups, ich schätze wir lagen falsch und vielleicht liegen wir auch mit unseren Annahmen darüber falsch, wie viel Arbeit ein Kraftsportler verrichten kann. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass ich Trainer kenne, die immer noch glauben, dass all Deine Anstrengungen durch einen plötzlichen Shitstorm kataboler Hormone zunichte gemacht werden, wenn Du länger als 60 Minuten lang mit Gewichten trainierst. Dies gehörte noch vor wenigen Jahrzehnten in Fitnessstudios überall auf der Welt zur Allgemeinbildung, auch wenn Weltklassebodybuilder wie Arnold Schwarzenegger ganz offensichtlich nie etwas von dieser Idee gehört hatten und weit längere Trainingseinheiten absolvierten.
Fazit ist, dass das Problem vielleicht nicht darin besteht, dass Du zu viel trainierst, sondern vielleicht eher darin, dass Du nicht genug trainierst.
Grund Nummer 2 – Das Erzwingen einer Progression
Wir alle wissen, dass eine progressive Überlastung wichtig ist und Du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass Du Dein Bestes gibst, wenn Du das Gewicht auf der Stange jede Woche um 2,5 Kilo erhöhst. Bei CrossFit sieht das Ganze jedoch etwas anders aus. Jede WOD (Workout of the Day oder Trainingseinheit des Tages) ist ein Gruppenwettkampf. WODs umfassen typischerweise, dass Du Deine Bestzeit für eine spezifische Trainingseinheit verbesserst oder versuchst, innerhalb eines gegebenen Zeitfensters mehr Arbeit zu verrichten. Wie auch immer, WODs sind die totale Hölle und wahrscheinlich ein bisschen intensiver als DEINE typischen Trainingseinheiten.
Ich schlage nicht vor, dass Du Dich nach jeder Trainingseinheit (oder irgendeiner Trainingseinheit) vor Überlastung übergeben solltest, aber viele typische Trainierende verlieren die wichtige Bedeutung der Progression und einer Intensivierung der Trainingseinheiten aus dem Auge. Sicherlich versuchen wir alle, unsere persönlichen Bestleistungen zu übertreffen, wann immer wir dies tun können, aber bei CrossFit liegt ein ganz anderer Fokus auf diesem Thema.
Bei CrossFit gehst Du nicht in den Kraftraum, um „zu sehen, wie Du Dich an diesem Tag fühlst“. Wenn Du in den Kraftraum gehst, dann gibst Du alles. Es ist mehr so etwas wie ein „tue es oder stirb“ Szenario. Sicher hat eine solche Vorgehensweise auch ein paar Nachteile, aber man kann nicht verneinen, dass der typische CrossFit Athlet hart trainiert und immer versucht, noch härter zu trainieren.
Fazit ist, dass Du vielleicht nicht so hart trainierst, wie Du denkst.
Grund Nummer 3 – neuartige, unerwartete Trainingsherausforderungen
Wenn Du jemals bei einer echten CrossFit Trainingseinheit zugeschaut hast, dann ist Dir vielleicht aufgefallen, dass sich diese Art des Trainings etwas von dem unterscheidet, was Du tust. Du führst wahrscheinlich beim Kreuzheben niemals mehr als 5 Wiederholungen oder 2 bis 3 Wiederholungen bei den olympischen Gewichtheberübungen aus. Und wie jeder weiß, sind „niedrige Wiederholungszahlen für den Masseaufbau und höhere Wiederholungszahlen für die Definition.“ Okay, den Spruch musste ich einfach loslassen (sorry), aber wahrscheinlich glaubst auch Du daran, dass der optimale Bereich für Zuwächse zwischen 8 und 12 Wiederholungen liegt. Oder dass Du, wenn Du Deine Kraft steigern möchtest, wahrscheinlich am besten in einem Bereich von 1 bis 5 Wiederholungen trainieren solltest. Zusätzlich wirst Du wahrscheinlich während einiger Trainingseinheiten mit Gewichten trainieren und während anderer Trainingseinheiten ein Cardiotraining absolvieren. Und weißt Du was? Die Wissenschaft stimmt bei all dem mehr oder weniger mit Deiner Vorgehensweise überrein.
Tatsache ist, dass CrossFit noch nicht wirklich Wind von diesen Ideen bekommen hat, weshalb die Dinge hier etwas anders angegangen werden. Wenn Du also in eine CrossFit Box kommst und mit einem WOD beginnen möchtest, dann könntest Du Leute sehen, die folgendes tun:
Die schmutzigen 50:
- 50 Box Sprünge auf eine 60 Zentimeter Box
- 50 Sprungliegestütze
- 50 Wiederholungen Kettlebell Schwingen
- 50 Gehende Ausfallschritte
- 50 Knie zu den Ellenbogen (Knees to Elbows)
- 50 Wiederholungen Schulterdrücken stehend mit Beinschwung (Push Press) mit 20 Kilo
- 50 Rückenextensionen
- 50 Wallballs mit einem 10 Kilo Ball
- 50 Burpees
- 50 Jump Rope Double-Unders (https://www.youtube.com/watch?v=MSPslSgkp60)
Murph
- Eine Meile (1,6 km) laufen
- 100 Klimmzüge
- 200 Liegestütze
- 300 Kniebeugen nur mit dem eigenen Körpergewicht
- Eine Meile (1,6 km) laufen
King Kong: 3 Runden bestehend aus
- 240 Kilo Kreuzheben
- 2 Muscle-Ups(https://www.youtube.com/watch?v=pS1A--3mNZ4)
- 3 x Umsetzen aus der Kniebeugenposition mit 120 Kilo (https://www.youtube.com/watch?v=g9Y8QwctmhU)
- 4 Handstand Liegestütze
Ich würde so weit gehen zu sagen, dass Du wahrscheinlich noch nie etwas getan hast, dass einer solchen Trainings auch nur im Entferntesten ähnelt. Schließlich scheinen diese Trainingseinheiten zumindest auf den ersten Blick so ziemlich jedes altbekannte Trainingsprinzip zu verletzen. Aber so abgefahren diese Trainingseinheiten erscheinen mögen (und vielleicht auch sind), sie bieten einen einzigartigen Vorzug: Sie stellen bedrohliche Anforderungen an den Körper, die Störungen der Homöostase hervorrufen. Mit anderen Worten ausgedrückt wird sich Dein Körper von den extrem ungewohnten Anforderungen durch diese Trainingseinheiten im wahrsten Sinn des Wortes bedroht fühlen und damit beginnen, sowohl Muskelmasse, als auch Kraft aufzubauen, um sich vor ähnlichen Bedrohungen in der Zukunft zu schützen.
Im Kern dieser Grundannahme befindet sich die Idee, dass etwas Neues ein Schlüsselfeature eines effektiven Trainings ist, was insbesondere für eine Muskelhypertrophie gilt. Denke einmal über folgendes nach: wenn Du einen Muskelkater am nächsten Tag provozieren müsstest, was würdest Du dann heute tun, um dies zu erreichen? Würdest Du etwas Gewohntes oder etwas Ungewohntes tun? Und je erfahrener Du wirst, desto wichtiger werden neuartige Trainingseinheiten werden. Wenn Du als Anfänger in ein Fitnessstudio gehst, ist alles, was Du dort tust, etwas Neues, nicht wahr? Und natürlich wirst Du egal was Du tust schnell Muskeln und Kraft aufbauen. Später wird es jedoch schwerer, Deinen Körper zu schocken, selbst wenn Du hart trainierst, weil die Übungen, die Du ausführst etwas Gewohntes sind und Du Dich bereits an sie angepasst hast.
Fazit ist, dass Du es in Betracht ziehen solltest, Deinem Körper (natürlich mit Vorsicht) mit neuartigen und unerwarteten Trainingsherausforderungen das Fürchten zu lehren.
Grund Nummer 4 – Soziale Unterstützung
Meine finale Beobachtung, die mit erklären könnte, warum CrossFit für viele Menschen so effektiv zu sein scheint, umfasst Gruppenzwang, äh, ich meine natürlich Unterstützung durch andere. Wir alle wissen den Wert eines motivierten Trainingspartners zu schätzen. Wenn Du den richtigen Trainingspartner hast, dann könnt ihr euch gegenseitig antreiben und unterstützen, um bessere Leistungen zu erbringen und etwas freundschaftliche Konkurrenz hilft Dir definitiv dabei, alles zu geben, auch wenn Du es ansonsten vielleicht nicht getan hättest.
Und jetzt multipliziere diesen Effekt mit 15 oder 20 und Du hast das, was in einem typischen CrossFit Umfeld geschieht. Wenn Du Dein WOD beginnst, wenn sich der große Timer an der Wahl der 00:00:01 Marke nähert, sind Du und Deine Mittrainierenden Teil eines hochgeladenen sportlichen Wettstreits und nicht nur einer Trainingseinheit. Es ist ein Wettstreit, es ist intensiv und Du kannst gar nicht anders, als Dein Bestes zu geben, um nicht Dein Gesicht zu verlieren. Ich möchte außerdem anmerken, dass auf einem hohen Level des sportlichen Trainings Sportler selbst bei Individualsportarten wie Gewichtheben und Ringen in einem Teamumfeld trainieren. Schau Dir den berühmten Westside Barbell Club in Columbus, Ohio an. Im Lauf der Jahre haben mir mehrere angesehene Experten im Bereich des Kraftsports im Vertrauen gesagt, dass sie glauben, dass 90% des Erfolges von Westside vom hochintensiven Teamumfeld stammt und weniger mit den ungewöhnlichen Trainingsmethoden zu tun hat, die dort zum Einsatz kommen. Fazit ist, dass Du in einem Gruppenumfeld härter trainieren wirst. Ziehe in Betracht, ein solches Umfeld zu finden.
Eine andere Perspektive
Sicher, eine Menge von dem, was bei CrossFit getan wird scheint völlig blödsinnig und gefährlich zu sein (und ist dies vielleicht auch), aber Du solltest das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wenn Du Dir die Zeit nimmst, Dir das Ganze etwas genauer anzusehen, dann wirst Du herausfinden, dass es versteckte Schätze gibt, die es zu entdecken gilt. Und als abschließenden Gedanken möchte ich Dich daran erinnern, dass die Aktivität von der wir alle wissen, dass sie so wertvoll für die Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und die sportliche Vorbereitung – ein Widerstandstraining – vor einigen Jahrzehnten noch von praktisch allen als eine schlechte Idee abgetan wurde.
Wissenschaftler, Ärzte und Trainer warnten davor, dass ein Training mit Gewichten Dein Wachstum hemmen und Dich langsamer machen würde. Heute lachen wir über solche Ansichten, aber hast Du Dich jemals gefragt, worüber die Leute in 50 Jahren lachen werden?
Von Charles Staley
Quelle: https://www.t-nation.com/training/why-crossfit-girls-are-stronger-than-you