Die Wissenschaft der Anfängerzuwächse
In den ersten beiden Teilen dieser Artikelserie haben wir uns damit beschäftigt, was genau Anfängerzuwächse sind. Anschließend habe ich drei Modelle vorgestellt, mit deren Hilfe eine relativ gute Vorhersage der potentiellen Zuwächse während des ersten Trainingsjahres (und darüber hinaus) möglich ist und nach Gründen dafür gesucht haben, dass viele Trainierende von größeren Zuwächsen während ihrer Anfängerphase berichten. Zu guter Letzt haben wir uns angesehen, warum rapide Anfängerzuwächse nach etwa einem Jahr enden. Im vorliegenden letzten Teil dieser Artikelserie werden wir die Frage behandeln, ob es möglich ist diese Anfängerzuwächse zu verpassen und darauf eingehen, wie Du weitermachen solltest, sobald die Zeit der Anfängerzuwächse vorüber ist.
Kann man seine Anfängerzuwächse verpassen?
Einige Menschen glauben, dass Du Deine Anfängerzuwächse verpassen kannst, wenn Du während Deines ersten Trainingsjahres schlecht trainierst und isst. In dieser Aussage liegt zwar ein Körnchen Wahrheit, aber sie ist mehr falsch als wahr. Wenn Du während Deines ersten Trainingsjahres viel falsch machst, dann wirst Du nicht so viel Muskelmasse aufbauen, wie Du eigentlich aufbauen könntest.
Wenn Du z.B. nicht genug Kalorien oder Protein zu Dir nimmst, nicht hart genug daran arbeitest, Deine Trainingsgewichte oder Deine Wiederholungszahlen bei jeder Trainingseinheit zu steigern und nicht genug schläfst, dann wirst Du wahrscheinlich nicht so viel Muskeln aufbauen, wie es die Formeln im ersten Teil dieser Artikelserie voraussagen würden.
Einige Menschen machen diese Fehler für Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte und erkennen diesen Fehler manchmal erst, wenn sie sich in ihren späten Dreißigern oder Vierzigern befinden. Wenn Du einmal dieses Alter erreicht hast, dann wirst Du nicht mehr dazu in der Lage sein so hart, so schwer oder so oft wie jemand zu trainieren, der jünger ist, und Du wirst deshalb auch nicht mit derselben Geschwindigkeit Muskeln aufbauen können.
Wenn Du Deinen Kurs jedoch korrigierst, bevor es zu spät ist und nur für ein paar Monate oder Jahre auf der Stelle getreten hast, dann kannst Du selbst dann noch Anfängerzuwächse verzeichnen, wenn Du bereits über einige Jahre an Trainingserfahrung verfügst.
Ich bin ein gutes Beispiel hierfür. Als ich im Alter von 16 mit dem Training mit Gewichten begann, verwendete ich ein gutes Programm – Starting Strength -, baute aber nur etwa 5 Kilo Muskeln während meines ersten Trainingsjahres auf und blieb danach über mehrere Jahre bei diesem Gewicht stecken.
Warum? Ich nahm gleichzeitig auch an Triathlonen und Radrennen teil, was es mir mehr oder weniger unmöglich machte, bei meinem Training mit Gewichten die Fortschritte zu erzielen, die ich normalerweise hätte erzielen können. Ich hatte zwar etwas Muskelmasse aufgebaut und mein Körpergewicht auf 68 Kilo bei einem Körperfettanteil von 10% gebracht, doch wenn ich korrekt trainiert und mich korrekt ernährt hätte, dann hätte ich mich bereits in meinen frühen Zwanzigern meinem genetischen Limit nähern sollen.
Nachdem ich mit dem Radsport aufgehört hatte und es mit dem Krafttraining und der richtigen Ernährung ernster nahm, war ich dazu in der Lage, mein Gewicht innerhalb weniger Jahre von 68 auf 77 Kilo zu erhöhen, während mein Körperfettanteil immer unter 15% blieb. Mit anderen Worten ausgedrückt erlebte ich eine zweite Runde Anfängerzuwächse, indem ich mein Training und meine Ernährung änderte.
Der Punkt ist, dass auch wenn es möglich ist, das Zeitfenster der Möglichkeiten für einen schnellen Muskelaufbau zu verpassen, dieses Zeitfenster für ein paar Jahrzehnte geöffnet bleibt. Wenn Du ein paar Jahre lang falsch oder schlecht trainiert hast, dann ist es weiterhin möglich anfängerähnliche Zuwächse zu erleben, sobald Du aufhörst dumme Fehler zu machen und es mit Deiner Ernährung und Deinem Training ernst nimmst.
Was kannst Du tun, wenn Deine Anfängerzuwächse vorüber sind?
Zuerst einmal ist es an der Zeit für eine Veränderung der Perspektive. Wie Du jetzt weißt kannst Du nicht erwarten, dass die Zuwächse weiter mit rapider Geschwindigkeit kommen werden. Viele Menschen werden entmutigt, wenn sie erkennen, dass die Resultate ihres Trainings an einen Grabenkrieg erinnern: sie müssen monatelang dafür kämpfen, ein paar Zentimeter weiter nach vorne zu kommen.
Was an diesem Punkt jedoch wirklich wichtig ist, ist nicht die Rate Deiner Fortschritte, sondern die einfache Tatsache, dass Du überhaupt Fortschritte erzielst. Solange Du stärker wirst, bewegst Du Dich in die richtige Richtung.
Zweitens musst Du gewillt sein, Dein Trainingsprogramm zu verändern. Was Dich bis hierhin gebracht hat, wird Dich wahrscheinlich nicht dorthin bringen, wo Du ankommen möchtest. Du musst gewillt sein härter und intelligenter zu arbeiten und mehr Zeit in die Planung Deiner Trainingseinheiten zu investieren, sobald Deine Anfängerzuwächse vorüber sind.
Als drittes musst Du anspruchsvoller werden, wenn es um Deine Ernährung geht. Auch wenn so viel zu essen, wie Du willst während Deines ersten Trainingsjahres für den Muskelaufbau funktionieren kann, wird diese Strategie in einer rapiden Zunahme an Körperfett resultieren, wenn Du die Anfängerphase einmal hinter Dir gelassen hast.
Beim Fettabbau verhält es sich ähnlich. Während Deiner Anfängerphase kannst Du mit Crash Diäten durchkommen, weil Du ganz einfach nicht so viel Muskelmasse hast, die Du verlieren kannst. Es wird jedoch umso schwerer werden, Deine hart erarbeiteten Zuwächse während einer Phase der Kalorienrestriktion aufrecht zu erhalten, je weiter fortgeschritten Du bist.
Um diese drei Ziele zu erreichen, solltest Du während Deiner Übergangsphase von einem Anfänger zu einem erfahrenen Trainierenden fünf Dinge im Hinterkopf behalten:
1. Halte während der Muskelaufbauphase einen moderaten Kalorienüberschuss von 5 bis 10% aufrecht
Dies sollte es Dir ermöglichen 2 bis 4 Pfund pro Monat aufzubauen, was Dein Ziel darstellen sollte, sobald Deine Anfängerzuwächse vorüber sind. Frauen sollten auf die Hälfte dieser Werte abzielen: ein bis zwei Pfund pro Monat.
2. Iss etwa 2 bis 2,5 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag
Diese Menge reicht aus sicherzustellen, dass Du von allen Vorzügen einer proteinreichen Ernährung profitierst. Es besteht keine Notwendigkeit, mehr Protein zu essen, um Muskeln aufzubauen.
3. Wechsle zyklisch zwischen Muskelaufbauphasen und Diätphasen, bis Du die Menge an Muskeln erreicht hast, die Du dir wünscht
Du kannst, wenn Du gerade erst mit dem Training begonnen hast, gleichzeitig Muskeln aufbauen und Fett verlieren, was auch als Körperrekompositionierung bezeichnet wird. Dies wird jedoch immer schwerer, je weiter fortgeschritten Du wirst und nach Deinen ersten ein bis zwei Jahren Trainingserfahrung wird ein solches Vorhaben zu vergeblicher Mühe.
Stattdessen solltest Du Folgendes tun:
Wenn Du ein Mann bist und einen Körperfettanteil von über 15% hast, dann diäte zunächst auf einen Körperfettanteil von 10% herunter, bevor Du mit einer Muskelaufbauphase beginnst. Wenn Du eine Frau bist und einen Körperfettanteil von über 25% hast, dann diäte zunächst auf einen Körperfettanteil von 20% herunter, bevor Du mit einer Muskelaufbauphase beginnst.
Sobald Du als Mann einen Körperfettanteil von 10% und als Frau einen Körperfettanteil von 20% erreicht hast, hältst Du einen Kalorienüberschuss aufrecht, bis Du als Mann einen Körperfettanteil von 15% und als Frau einen Körperfettanteil von 20% erreichst. Anschließend wiederholst Du den gesamten Prozess aus Muskelaufbau und Fettabbau, bis Du die Körperentwicklung erreicht hast, die Du willst.
4. Betone eine progressive Überlastung bei all Deinen Trainingseinheiten über alles andere
Der Begriff progressive Überlastung bezieht sich auf eine Erhöhung der Menge an Spannung, die Deine Muskeln im Verlauf der Zeit produzieren und der effektivste Weg, eine progressive Überlastung zu erreichen, besteht darin, die Menge an Gewicht, die Du bei einer Übung bewegst, progressiv zu steigern. Mit anderen Worten ausgedrückt besteht der Schlüssel zum Aufbau von Muskelmasse und Kraft nicht darin, eine ellenlange Liste unterschiedlicher Übungen auszuführen, auf einem BOSU Ball zu balancieren oder möglichst viel Schweiß während des Trainings zu vergießen, sondern darin, Deine Muskeln im Lauf der Zeit immer härter arbeiten zu lassen. Und dies ist genau das, was Du tust, wenn Du sie dazu zwingst schrittweise immer schwerere Gewichte zu bewegen.
5. Ziehe die Verwendung von Supplements zur Steigerung Deiner Muskelzuwächse in Betracht
Ich habe mir diesen Punkt bis zum Schluss aufgehoben, da er weitaus weniger wichtig als eine optimale Ernährung und ein optimales Training ist. Letztendlich bauen Supplements keinen tollen Körper auf, sondern Hingabe an ein gutes Training und eine gute Ernährung.
Unglücklicherweise ist die Supplementindustrie voll von Pseudowissenschaft, übertriebenem Hype und irreführender Werbung, was es schwer macht, die Spreu vom Weizen zu trennen und herauszufinden, welche Produkte ihr Geld wirklich wert sind, wenn es um eine Unterstützung des Muskelaufbaus geht.
Es gibt jedoch einige sichere, natürliche Substanzen, die wissenschaftlich bewiesene Vorzüge wie eine Steigerung der Kraft, der Muskelausdauer, des Muskelaufbaus und mehr mit sich bringen. An dieser Stelle möchte ich lediglich einen kurzen Blick auf die Supplements werfen, die Dir am meisten dabei helfen können so schnell wie möglich Muskeln aufzubauen und das Meiste aus Deinen Anfängerzuwächsen zu machen.
Kreatin
Kreatin ist eine Verbindung, die natürlich im Körper und in einigen Nahrungsmitteln wie rotem Fleisch vorkommt. Kreatin ist das wahrscheinlich am besten untersuchte Molekül im Bereich der Sportsupplements, das Gegenstand von weit über 1000 Studien war, deren Konsens sehr klar ist: Eine Supplementation mit Kreatin hilft dabei:
- Muskeln aufzubauen und die Kraft zu steigern (9)
- Die anaerobe Ausdauer zu steigern (10)
- Muskelbeschädigungen und Muskelkater zu reduzieren (11)
Vielleicht hast Du irgendwo gehört, dass Kreatin schlecht für Deine Nieren ist, doch diese Behauptungen konnten wiederholt widerlegt werden (12). Es konnte gezeigt werden, dass Kreatin bei gesunden Menschen weder bei kurzfristiger noch bei langfristiger Anwendung irgendwelche schädlichen Nebenwirkungen besitzt (13). Menschen, die unter einer Erkrankung der Nieren leiden, sollten jedoch kein Kreatin supplementieren (14). Wenn Du also gesunde Nieren hast, dann kann ich Dir nur wärmstens empfehlen, mit Kreatin zu supplementieren. Es ist sicher, kostengünstig und effektiv.
Proteinpulver
Du brauchst keine Protein Supplements, um Muskeln aufzubauen, aber unter Berücksichtigung der Menge an Protein, die Du täglich zu Dir nehmen solltest, um Dein Muskelwachstum zu maximieren, kann es unpraktisch werden, Deinen Proteinbedarf vollständig über vollwertige Nahrungsmittel zu decken. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass ich Proteinsupplements verwende.
Bei den beiden am häufigsten verwendeten Proteinpulvern handelt es sich um Wheyprotein und Casein, die beide aus Milch hergestellt werden. Casein ist langsamer verdaulich als Wheyprotein und versorgt Deine Muskeln über einen längeren Zeitraum mit einem gleichmäßigen Zufluss an Aminosäuren für Wachstum und Reparatur, weshalb es einige Experten als bessere Wahl für den Muskelaufbau ansehen. Wheyprotein ist hingegen schnell verdaulich und bewirkt eine schnellere und stärkere Erhöhung der Aminosäurespiegel im Blut, weshalb einige Experten glauben, dass es das Muskelwachstum nach dem Training stärker anregt.
Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen jedoch, dass ziemlich egal ist, ob Du Casein oder Wheyprotein verwendest und Du keinen großen Unterschied bemerken wirst, so lange Du genug Protein pro Tag zu Dir nimmst.
Pre-Workout Drink
Ein Pre-Workout Drink kann Deine Trainingsmotivation erhöhen und Deine Trainingsleistungen im Fitnessstudio steigern. Hierbei ist es jedoch wichtig darauf zu achten, dass dieses Produkt effektive Dosierungen wirkungsvoller Inhaltsstoffe enthält. Hier ist eine kleine Auswahl solcher Inhaltsstoffe:
- Koffein: Koffein liefert Dir mehr als nur einen Energieschub. Es kann zusätzlich Muskelausdauer und Kraft steigern (15, 16).
- Beta-Alanin: Beta-Alanin ist eine natürlich vorkommende Aminosäure, die trainingsinduzierte Erschöpfung reduzieren (17), Deine anaerobe Trainingskapazität steigern (18) und Dein Muskelwachstum beschleunigen kann (19).
- Citrullin Malat: Citrullin ist eine Aminosäure, die die Muskelausdauer steigern (20), einen Muskelkater lindern (20) und die aerobe Leistungsfähigkeit steigern kann (21).
- Theanin: Theanin ist eine Aminosäure, die sich primär in Tee wiederfindet. Theanin kann die Auswirkungen von körperlichem Stress reduzieren (22), die Stickstoffoxydproduktion steigern (23) und Wachsamkeit, Fokus, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Kombinationsfähigkeit und Stimmungslage verbessern (24, 25, 26, 27).
Das Fazit zum Thema Anfängerzuwächse
Anfängerzuwächse sind die rapiden Zuwächse an Muskelmasse, die zustande kommen, wenn Menschen mit wenig oder ohne Trainingserfahrung mit Gewichten mit einem Widerstandstraining beginnen. Wenn Du das erste Mal eine Langhantel in die Hand nimmst, dann reagieren Deine Muskeln auf die Auswirkungen eines Trainings mit Gewichten hypersensibel und reagieren hierauf mit einer rapiden Wachstumsreaktion.
Eine gute Faustregel ist, dass sowohl Männer, als auch Frauen während ihres ersten Trainingsjahres mit Gewichten etwa 1 bis 1,5% ihres Körpergewichts an Muskeln pro Monat aufbauen können, wobei die Zuwächse während der ersten 6 Monate etwas schneller als während der zweiten Hälfte des ersten Trainingsjahres zustande kommen werden. Unter der Annahme, dass Du bei Training und Ernährung alles richtig machst, bedeutet dies in der Praxis einen Aufbau von 10 bis 12 Kilo Muskeln bei Männern und 5 bis 6 Kilo Muskeln bei Frauen.
Die Rate der Anfängerzuwächse nimmt nach den ersten 6 Trainingsmonaten deutlich ab und nach mehr oder weniger 12 Monaten ist die Zeit der Anfängerzuwächse vorüber. Der Grund hierfür besteht darin, dass es umso schwerer wird Muskeln aufzubauen, je mehr Du Dich Deinem genetischen Limit näherst.
Auch wenn Du aufgrund von Trainings- oder Ernährungsfehlern während Deines ersten Trainingsjahres deutlich weniger Muskelmasse aufgebaut hast, als eigentlich möglich gewesen wäre, bedeutet dies nicht, dass Du diese Anfängerzuwächse verpasst hast. So lange Du Dich noch relativ weit von der Realisierung Deines ultimativen lebenslangen Potentials für den Muskelaufbau entfernt befindest, kannst Du selbst dann noch rapide Muskelzuwächse verzeichnen, wenn Du bereits seit einigen Jahren mit Gewichten trainierst.
Wenn sich der Vorhang für Deine Anfängerzuwächse zu schließen beginnt, gibt es fünf Dinge, die Du tun kannst, um Deine Rate des Aufbaus von Muskeln und Kraft zu maximieren, während Du Dich zu einem etwas weiter fortgeschrittenen Trainierenden entwickelst:
- Halte während der Muskelaufbauphase einen moderaten Kalorienüberschuss von 5 bis 10% ein.
- Iss etwa 2 bis 2,5 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag
- Wechsle zyklisch zwischen Muskelaufbauphasen und Diätphasen, bis Du die Menge an Muskeln erreicht hast, die Du Dir wünschst
- Betone eine progressive Überlastung bei all Deinen Trainingseinheiten über alles andere
- Ziehe die Verwendung von Supplements zur Steigerung Deiner Muskelzuwächse in Betracht Tue all dies und Du wirst auch in den folgenden Jahren weiterhin Kraft und Muskeln aufbauen.
Referenzen:
- https://www.researchgate.net/publication/7794282_Variability_in_muscle_size_and_strength_gain_after_unilateral_resistance_training
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26280652
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- http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18006208
Quelle: https://www.muscleforlife.com/newbie-gains/
Von Amistead Legge