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Crunches oder keine Crunches? Teil 2

Crunches oder keine Crunches? Teil 2

Nachdem wir im ersten Teil die Argumentation der Gegner von Crunches bezüglich einer Schädigung der Wirbelsäule durch die Ausführung dieser Übung kritisch betrachtet haben, werden wir uns im vorliegenden zweiten Teil des Artikels mit der Frage beschäftigen, ob Crunches negative Auswirkungen auf die Haltung besitzen können und der Frage auf den Grund gehen, ob Crunches eine funktionale Übung darstellen. Abschließend werden wir der Frage auf den Grund gehen, ob es so etwas wie eine Heilung und Regeneration der Bandscheiben gibt.

Ruinieren Crunches Deine Haltung?

Die Theorie geht in folgende Richtung: Crunches verkürzen den Rectus abdominis. Da der Rectus abdominis vom Brustbein/Brustkorb zum Becken verläuft, wird ein kontinuierliches Verkürzen dieses Muskels Deinen Brustkorb nach unten ziehen, was letztendlich in einer Wirbelsäulenverkrümmung (d.h. einer Haltung mit rundem Rücken) resultieren wird. Dies ist eine interessante Theorie, die allerdings auch jeglicher Grundlage entbehrt.

Wie bei vielen Theorien basiert die Essenz dieser Behauptung auf einem Körnchen Wahrheit. Wenn man einen Muskel über einen längeren Zeitraum in eine verkürzte Position versetzt, hat dies zur Folge, dass dieser Muskel eine kürzere Länge im Ruhezustand aufweisen wird. Wenn Du z.B. Deinen Arm über mehrere Wochen in einer gebeugten Position ruhig stellst, wird Dein Arm dazu neigen, in dieser gebeugten Position zu bleiben, wenn Du die Schiene entfernst.

Dies ist die Folge einer adaptiven Reaktion, bei der die Ellenbogenflexoren d.h. Bizeps, Brachialis, usw.) Sarkomere verlieren, während Sarkomere zum antagonistischen Streckmuskel hinzugefügt werden (Toigo & Boutellier, 2006). Dies wird auch als adaptive Verkürzung bezeichnet.

Vielleicht erkennst Du ja bereits den Fehler bei der Hypothese, dass die Ausführung von Crunches Deinen Rectus abdominis verkürzen wird – Crunches sind nicht lediglich eine verkürzende Übung! Zusätzlich hierzu umfassen Crunches außerdem exzentrische Aktionen, in deren Rahmen der Rectus abdominis wieder seine Länge im Ruhezustand einnimmt. Somit würden alle negativen Auswirkungen verkürzender Kontraktionen auf die Anzahl der Sarkomere durch die verlängernden Aktionen der exzentrischen Aktionen wieder ausgeglichen. Der Netto Effekt wäre keine Veränderung der Länge im Ruhezustand.

Einige Anti-Crunches Anhänger argumentieren außerdem, dass die Ausführung von Flexionsübungen der Wirbelsäule (z.B. Crunches) den Rectus abdominis übermäßig stärken, so dass dieser im Vergleich zu seinen Antagonisten übermäßig stark wird und deshalb den Brustkorb nach unten ziehen wird.

Dies ist ein Strohmann-Argument. Natürlich ist es wahr, dass ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Muskeln eine schlechte Haltung hervorrufen kann – ich bin sicher, dass der Leser mit Trainierenden vertraut ist, die Brust und Arme während jeder Trainingseinheit trainieren und hierdurch eine so stark vorgebeugte Körperhaltung erreichen, dass sie Probleme damit haben werden, sich am Hinterkopf zu kratzen. Doch das bedeutet nicht, dass Du kein Bankdrücken und keine Curls ausführen solltest.

Das Problem ist hier eher ein schlechtes Design des Trainingsprogramms und nicht eine spezifische Übung.

Was Crunches angeht, gilt dasselbe Prinzip. Natürlich wirst Du, wenn Du jeden Tag eine Million Crunches ausführst und keine anderen Muskelgruppen trainierst, die Gefahr für Haltungsschäden erhöhen.

Dies stellt jedoch kein Problem dar, wenn Du ein ausgewogenes Trainingsprogramm verwendest. Die Ausführung von praktisch jeder im Stehen und nicht an Maschinen ausgeführten Übung wird die Muskulatur der Körpermitte stark involvieren, was insbesondere für die Rückenmuskeln gilt, die Antagonisten des Rectus abdominis darstellen (Schoenfeld, 2010, Lehman, 2005). Es sollte außerdem angemerkt werden, dass der Durchschnittsbürger dazu neigt, über schwache Bauchmuskeln zu verfügen (Morris et al. 2006), was bedeutet, dass die meisten von uns von der Ausführung von Flexionsübungen der Wirbelsäule profitieren könnten.

Zusammenfassend gibt es keine überzeugenden Hinweise darauf, dass die Ausführung von Crunches als Teil eines Ganzkörper-Widerstandstrainings irgendwelche negativen Auswirkungen auf die Haltung besitzen wird.

Führen Crunches zu zusätzlichen Dysfunktionen wie eine Dysfunktion der Atmung oder eine Dysfunktion des Gluteus?

Wenn Crunches wirklich den Brustkorb nach unten ziehen und eine Kyphose (Verkrümmung der Wirbelsäule) hervorrufen würden, dann könnte man spekulieren, dass hierdurch die Atmung und die Funktion des Gluteus beeinträchtigt werden könnten. Wie jedoch bereits erwähnt wurde, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der Fall.

Anekdotenhaft gesehen haben hunderttausende von Sportlern während der letzten Jahrzehnte trotz der Ausführung von Crunches erstaunliche Erfolge erzielt. Wenn Crunches wirklich zu einer Verkürzung der Bauchmuskeln führen würden, dann könnte man unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Mehrzahl aller Menschen – Sportler inklusive – eine Neigung des Beckens nach vorne aufweisen, argumentieren, dass es weise wäre, Crunches auszuführen, um das Becken nach oben zu ziehen, was theoretisch eine Neigung des Beckens nach vorne reduzieren und zu einer neutraleren Lendenwirbel-Becken Haltung führen würde.

Sind Crunches eine nicht funktionale Übung?

Wann immer jemand die Implikation, dass Crunches in etwa so gefährlich wie Wakeboarding in einem Tsunami sind, in Frage stellt, kommt von der Anti-Crunches Bewegung schnell etwas wie „Wen interessiert es, ob Crunches gefährlich sind, oder nicht? Crunches sind nicht funktional. Sie stellen eine Übung mit einem kurzen Bewegungsraum dar, die Du auf dem Rücken liegend auf dem Boden ausführst. Diese Übung kann unmöglich einen Übertrag auf irgendetwas haben.“

Unser Mentor Mel Siff hat treffend hierzu Folgendes angemerkt:

"Funktionales Training ist jede Form von Training, das irgendeine relevante biomotorische Fähigkeit verbessert und nicht mit einer Beeinträchtigung anderer biomotorischer Fähigkeiten einhergeht.“

Gegner von Crunches werden hervorheben, dass Crunches lediglich das eigene Körpergewicht umfassen und deshalb nicht „schwer“ genug sind, um einen Übertrag auf Bewegungen besitzen zu können, die mit hoher Kraft oder hoher Geschwindigkeit ausgeführt werden. Diese Aussage ist absurd, da es sehr einfach ist, eine Kurzhantel vor der Brust zu halten, um die Intensität der Übung zu erhöhen. Du kannst auch kniende Crunches am Kabelzug ausführen, um die Trainingsintensität zu steigern.

Was den besten Übertrag auf eine funktionale Aktivität besitzt, hängt von der Aufgabe ab. Hier ist eine Tabelle, die Dir dabei helfen sollte, den optimalen Übertrag des Trainings zu bestimmen.

 

Biomotorische Fähigkeit

Beispiele

Übungskategorie

Beispiele

Rotation des Rumpfes: Stabilität, Kraft und Power

Werfen eines Footballs oder Baseballs, werfen eines Diskus, schwingen eines Schlägers, schlagen eines linken Hakens

Rotationsübungen und Anti-Rotationsübungen

Woodchops, Landmines, Pallof Presses, Kabelchops

Seitliche Beugung des Rumpfes: Stabilität, Kraft und Power

Einen Schlag setzen

Seitliche Flexionsübungen und antilaterale Flexionsübungen

Seitbeugen, Side Planks, Suitcase Carries

Beugung des Rumpfes: Stabilität, Kraft und Power

 

Aufstehen von einer Bank, Turnübungen an einer Stange, Ausführung eines Schlages zur Körpermitte, widerstehen eines Schubsens nach hinten wie beim Sumo Ringen, werfen eines Fußballes über Kopf

Flexionsübungen und Anti-Extensionsübungen

Crunches, Situps, Beinheben hängend, Planks, Ab Wheel Rollouts, Bodysaws

Extension des Rumpfes: Stabilität, Kraft und Power

Tragen schwerer Lasten, Gegenstände vom Boden aufheben, während eines Nahkampfes aufrecht stehen bleiben.

Extensionsübungen und Anti-Flexionsübungen

Kniebeugen, Kreuzheben, Rückenstrecken, Reverse Hypers, Farmers   Walk, Zercher Carries

 

 

 

Im Grunde genommen scheinen Stabilitätsübungen besser für Stabilisierungsaufgaben und Aufgaben, bei denen eine korrekte Funktion der Körpermitte notwendig ist, zu sein, während stärkende Übungen besser für dynamische Aufgaben und eine Hypertrophie zu sein scheinen.

Wie man sehen kann, kann eine Übung wie Crunches mit Zusatzgewicht einen Übertrag auf eine Vielzahl von Aufgaben besitzen und sollte deshalb nicht bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf die funktionale oder sportliche Leistungsfähigkeit schlecht gemacht werden.

Gibt es ein gesundes Gleichgewicht und können Bandscheiben sich remodellieren und heilen?

Viele Mediziner sagen, dass Bandscheiben nicht heilen können. Diese Aussage ist jedoch irreführend, Es ist wahr, dass die Bandscheiben nur schlecht durchblutet werden und damit zu kämpfen haben, adäquate Mengen an Nährstoffen zu bekommen und es ist auch wahr, dass das Gewebe der Bandscheiben nicht schnell heilt. Der Proteoglycanumsatz kann 500 Tage dauern (Urban et al. 1978) und der Kollagenumsatz kann sogar noch länger dauern (Adams and Hutton 1982).

Aus diesem Grund hängt die Rate der Remodellierung der Bandscheiben hinter der Rate anderer Skelettgewebestrukturen zurück (Maroudas et al. 1975; Skrzypiec et al. 2007).

Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise auf eine Heilung der Bandscheiben. Der gesunde Menschenverstand würde besagen, dass Bandscheiben heilen, da es ansonsten nach einer Verletzung im Bereich der Bandscheiben niemals zu einer Besserung kommen würde. Der Zustand unserer Bandscheiden müsste in diesem Fall immer schlechter werden, bis wir uns schließlich gar nicht mehr bewegen könnten.

Basierend auf epidemiologischen Studien ist klar, dass es ein optimales Fenster für eine Belastung der Wirbelsäule gibt, dass irgendwo zwischen Bettruhe und Überaktivität liegt (Videman et al., 1990).

Es konnte gezeigt werden, dass es ein gesundes Gleichgewicht zwischen Kompression der Wirbelsäule (Hutton et al. 1998; Lotz et al. 2002; Walsh und Lotz 2004; Wuertz et al. 2009; MacLean et al. 2005) und Rotation der Wirbelsäule gibt (Chan et al. 2011). Es konnte außerdem gezeigt werden, dass es positive Aspekte einer Beugung der Wirbelsäule auf die Bandscheiben gibt (Lotz et al. 2008; Court et al. 2001).

Darüber hinaus deuten 16 unterschiedliche Studien darauf hin, dass sich die Bandscheiben selbst remodellieren und heilen können. Während mehrere Paper dieses Thema betrachtet haben (Lotz 2004; Stokes und Latridis; Adams und Dolan 1997; Porter 1987), haben andere gezeigt, dass Flexionsbeschädigungen heilen können (Court et al. 2007), dass Kompressionsbeschädigungen heilen können (Lai et al. 2008; Korecki et al. 2008; MacLean et al. 2008; Hee et al. 2011), dass sich ein Prolaps zurückbilden kann (Scannell and McGill 2009), dass Herniationen besser werden können (Girard et al. 2004; Wood et al. 1997), dass der äußere Anulus der Bandscheiben stärker werden kann (Skrzpiec et al. 2007), dass das Kollagen innerhalb der Bandscheiben remodelliert werden kann, um stärker zu werden (Brickley-Parsons und Glimcher, 1984) und dass Wirbelsäule und Bänder stärker werden können, um einer Belastung besser widerstehen zu können (Porter et al. 1989; Adams und Dolan 1996).

Jedes Mal wenn Du Deine Wirbelsäule bewegst, verursachst Du hierdurch Mikrotraumata, welche anabole und katabole Prozesse auslösen. Idealerweise sollte man den Umfang der Schäden minimieren, da die Heilung größerer Beschädigungen die Bandscheiben biomechanisch schwächt.

Eine Beschädigung des Kranzes der Bandscheiben wird z.B. durch Granulationsgewebe repariert und das Narbengewebe erreicht nie wieder seine normale lamellenartige Architektur (Hampton et al. 1989). Endplattenverletzungen heilen mit knorpeligem Gewebe (Cinotti et al. 2005; Holm et al. 2004), Faserknorpel ersetzt Kernmaterial (Kim et al. 2005) und die Heilung von beschädigten Gewebe hat häufig eine Ersetzung des Gewebes durch eine dünne Schicht von schwächerem Fasergewebe zur Folge (Fazzalari et al. 2001).

Eine Stress — Eustress Lösung?

Die Stress – Eustress Theorie des Trainings

 

 

 

 

Das Studium der Biomechanik ist einzigartig, da man nicht nur Kräfte und Stress, die auf das menschliche Gewebe einwirken, sondern auch die adaptive Remodellierung berücksichtigen muss. Ein ideales Trainingsprogramm meidet Stress nicht, sondern hält den Körper in einem Zustand des Eustress, während eine Überlastung vermieden wird, was sicherstellt, dass anabole Wirkstoffe innerhalb des Gewebes mehr Arbeit als katabole Wirkstoffe innerhalb des Gewebes verrichten, um eine vollständige Reparatur, Regeneration und Stärkung zu fördern.

Fazit

Wir hoffen, dass wir dem Leser ein paar Denkanstöße geben konnten und ihn dazu ermutigen konnten, sich bei der Entscheidungsfindung was Übungssicherheit und Programmgestaltung angeht, auf die Logik anstatt auf Emotionen zu verlassen. Ein intelligenter Trainierender wird die verfügbaren Fakten gegeneinander aufwiegen und angemessene, leidenschaftslose Entscheidungen treffen, ohne sich rigide an vorherrschende Meinungen zu klammern.

Wir glauben, dass zukünftige Untersuchungen dabei helfen werden, die Sicherheit und Unbedenklichkeit von Crunches zu bestätigen. Dies bedarf jedoch der Durchführung von Untersuchungen am Menschen, die MRT Untersuchungen und angemessene Trainingsinterventionen zur Sicherstellung der Verwendung einer korrekten Technik bei der Ausführung von Crunches.

 

 

Quelle: https://www.t-nation.com/training/to-crunch-or-not-to-crunch

 

 

Von Bret Contreras, Brad Schoenfeld, PhD

 

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