Ist der “Hungermodus real oder ein Mythos?
Ein Gewichtsabbau wird im Allgemeinen als etwas Positives angesehen. Er kann die Gesundheit und das Aussehen verbessern und alle Arten von körperlichen und mentalen Vorzügen mit sich bringen. Dein Gehirn wird das Ganze jedoch nicht notwendigerweise genauso sehen. Dein Gehirn macht sich mehr Sorgen darüber, zu verhindern, dass Du verhungerst und wird alles tun, um sicherzustellen, dass Du (und Deine Gene) überleben.
Wenn Du eine Menge Gewicht verlierst, dann wird Dein Körper damit beginnen, Energie zu sparen und die Menge an Kalorien zu reduzieren, die Du verbrennst (1). Er wird Dich außerdem hungriger und fauler machen und Deine Gelüst nach Nahrung steigern. Dies kann dazu führen, dass Du aufhörst Gewicht zu verlieren und Dich so miserabel fühlst, dass Du Deine Gewichtsabbauanstrengungen aufgibst und das verlorene Gewicht wieder aufbaust.
Dieses Phänomen wird häufig auch als Hungermodus bezeichnet, aber es ist in Wirklichkeit einfach nur der natürliche Mechanismus Deines Gehirns, um Dich vor dem Verhungern zu schützen. Glücklicherweise gibt es eine Reihe von Dingen, die Du tun kannst, um zu verhindern, dass dies geschieht, so dass Du weiterhin Gewicht verlieren kannst, ohne Dich hierbei selbst zu foltern.
Doch bevor wir hierzu kommen, möchte ich zunächst erklären, was der Hungermodus ist und wie er funktioniert.
Was impliziert der “Hungermodus”?
Was die meisten Menschen als „Hungermodus“ (und manchmal auch als „Stoffwechselschäden“) bezeichnen, ist die natürliche Reaktion auf eine längerfristige Kalorienrestriktion. Dies umfasst die Reaktion des Körpers auf eine reduzierte Kalorienzufuhr durch eine Reduzierung des Kalorienverbrauchs in einem Versuch, ein Energiegleichgewicht aufrecht zu erhalten und ein Verhungern zu verhindern.
Dies ist eine natürliche physiologische Reaktion und diese ist nicht wirklich umstritten. Sie wird von Wissenschaftlern weitgehend akzeptiert und der technische Begriff hierfür lautet „adaptive Thermogenese“ (2). Ich werde in diesem Artikel den Begriff Hungermodus verwenden, auch wenn diese Bezeichnung unzutreffend ist, da ein echtes Verhungern etwas ist, das bei den meisten Gewichtsabbaudiskussionen nahezu vollständig irrelevant ist.
Der Hungermodus war in unserer evolutionären Vergangenheit etwas sinnvolles, richtet in unserer modernen Zeit, in der Übergewicht und Fettleibigkeit außer Kontrolle geraten, mehr Schaden an, als er gutes tut.
Kalorienzufuhr und Kalorienverbrauch
Fettleibigkeit ist eine Störung, die durch eine exzessive Akkumulation von Energie/Kalorien zustande kommt. Der Körper speichert Energie (Kalorien) für eine spätere Verwendung in seinem Fettgewebe. Wenn mehr Kalorien ins Fettgewebe gelangen, als Kalorien das Fettgewebe wieder verlassen, dann bauen wir Fett auf. Wenn mehr Kalorien das Fettgewebe verlassen, als hinein gelangen, dann verlieren wir Fett. Dies ist eine Tatsache.
So ziemlich alle Gewichtsabbaudiäten bewirken eine Reduzierung der Kalorienzufuhr. Einige bewirken dies durch eine direkte Kontrolle der Kalorienzufuhr (durch Kalorienzählen, Abwiegen von Portionen, usw.), während andere den Appetit reduzieren, so dass Menschen automatisch weniger Kalorien zu sich nehmen. Wenn dies geschieht, übersteigt die Menge an Kalorien, die das Fettgewebe verlassen, die Menge an Kalorien, die ins Fettgewebe gelangen und wir verlieren Fett.
Der Körper sieht dies jedoch nicht auf dieselbe Art und Weise wie Du. In vielen Fällen sieht er dies als den Beginn des Verhungerns. Aus diesem Grund beginnt er damit, hiergegen anzukämpfen und tut alles, was er kann, um zu verhindern, dass Du Fett verlierst.
Körper und Gehirn können damit reagieren, Dich hungriger zu machen (so dass Du mehr isst und die Kalorienzufuhr erhöhst), aber was für diese Diskussion am relevantesten ist, ist was mit der Menge an Kalorien geschieht, die Du verbrauchst. Der Hungermodus impliziert, dass Dein Körper den Kalorienverbrauch reduziert, um zu versuchen, das Energiegleichgewicht wieder herzustellen und zu verhindern, dass Du trotz eines Kaloriendefizits weiter an Gewicht verlierst.
Dieses Phänomen ist sehr real, doch ob diese Reaktion so stark ist, dass sie tatsächlich verhindern kann, dass Du weiter Gewicht verlierst oder trotz einer anhaltenden Kalorienrestriktion sogar beginnst, Gewicht aufzubauen, ist umstritten.
Zusammenfassung: Das, was im Allgemeinen als Hungermodus bezeichnet wird, ist die natürliche Reaktion des Körpers auf eine längerfristige Kalorienrestriktion und umfasst eine Reduzierung der Menge an Kalorien, die Dein Körper verbrennt, welche Deinen Gewichtsverlust verlangsamen kann.
Die Menge an Kalorien, die Du verbrennst, kann sich ändern
Die Menge an Kalorien, die Du im Lauf des Tages verbrennst, kann in vier Bereiche aufgesplittet werden:
- Der Grundumsatz: Dies ist die Menge an Kalorien, die Dein Körper verwendet, um seine grundlegenden Vitalfunktionen wie Atmung, Herzschlag und Gehirnfunktion aufrecht zu erhalten.
- Die thermische Wirkung der Nahrung (TEF): Die Kalorien, die während der Verdauung der Nahrung verbraucht warden. Für gewöhnlich macht dies etwa 10% der Kalorienzufuhr aus.
- Die thermische Wirkung des Trainings (TEE): Die Kalorien, die während körperlicher Aktivitäten wie sportlichem Training verbrannt werden.
- Die nicht trainingsinduzierte Thermogenese: Kalorien die durch “Herumgezappel”, Veränderungen der Körperposition, usw. verbrannt werden. Diese Aktivitäten finden für gewöhnlich unbewusst statt.
Der Kalorienverbrauch in all diesen vier Bereichen kann sinken, wenn Du Deine Kalorienzufuhr reduzierst und Gewicht verlierst. Dies umfasst eine Reduzierung der Bewegung (sowohl bewusst, als auch unbewusst), sowie größere Veränderungen im Bereich des Nervensystems und unterschiedlicher Hormone (2, 3). Die wichtigsten Hormone sind in diesem Zusammenhang Leptin, Schilddrüsenhormone und Norepinephrin, deren Spiegel alle im Rahmen einer Kalorienrestriktion sinken können (4, 5).
Zusammenfassung: Es gibt mehrere Wege, auf denen der Körper Kalorien verbrennt. All diese können in ihrem Umfang reduziert werden, wenn Du Deine Kalorienzufuhr über einen längeren Zeitraum reduzierst.
Studien zeigen, dass eine Kalorienrestriktion den Kalorienverbrauch reduzieren kann
Studien haben klar gezeigt, dass ein Gewichtsverlust die Menge an Kalorien, die Du verbrennst, reduziert (6). Laut einem großen Studienreview zu diesem Thema beläuft sich diese auf 12,8 kcal für jedes Kilogramm an Gewicht, das Du verlierst (7). Wenn Du also 20 Kilo an Gewicht verlierst, dann wirst Du also etwa 250 kcal weniger pro Tag verbrennen.
Diese Reduzierung des Kalorienverbrauchs kann jedoch weitaus höher ausfallen, als sie rein anhand der Veränderungen des Gewichts vorausgesagt wird. Einige Studien zeigen z.B., dass der Verlust von 10% Körpergewicht die Menge an täglich verbrannten Kalorien um 15 bis 25% reduzieren kann (8, 9).
Dies ist einer der Gründe dafür, dass der Gewichtsverlust im Lauf der Zeit dazu neigt, sich zu verlangsamen und dass es so schwer ist, das erreichte niedrigere Gewicht zu halten. Es kann gut sein, dass Du für letzteres Dein gesamtes Leben lang weniger Kalorien essen musst.
In diesem Zusammenhang sollte man im Hinterkopf behalten, dass diese Reduzierung der Stoffwechselrate bei einigen Gruppen wie z.B. postmenopausalen Frauen, denen es schwer fällt, Gewicht zu verlieren, noch stärker ausgeprägt sein kann.
Die Muskelmasse neigt dazu, abzunehmen
Eine weitere Nebenwirkung eines Gewichtsverlustes ist, dass die auch Menge an Muskelmasse dazu neigt, abzunehmen (10). Wie Du vielleicht weißt, stellt Muskelmasse stoffwechseltechnisch aktives Gewebe dar, das rund um die Uhr Kalorien verbrennt.
Die Reduzierung des Kalorienverbrauchs fällt jedoch höher aus, als einfach nur durch eine Reduzierung an Muskelmasse alleine erklärt werden kann. Der Körper wird effizienter darin, Arbeit zu verrichten, so dass weniger Energie benötigt wird, um dieselbe Menge an Arbeit zu verrichten (11).
Eine Kalorienrestriktion lässt Dich also weniger Kalorien für die körperlichen Aktivitäten (unabhängig davon, ob es sich um bewusste oder unbewusste Aktivitäten handelt) verbrennen, die Du verrichtest.
Zusammenfassung: Ein Gewichtsverlust und eine reduzierte Kalorienzufuhr können zu einem reduzierten Kalorienverbrauch führen. Dies summiert sich pro Tag auf durchschnittlich 12,8 kcal pro verlorenem Kilo an Gewicht auf.
Wie Du eine Reduzierung der Stoffwechselrate verhindern kannst
Behalte im Hinterkopf, dass eine Verlangsamung Deiner Stoffwechselrate nichts anderes als eine einfache, natürliche Reaktion Deines Körpers auf eine reduzierte Kalorienzufuhr ist. Als solche wird ein gewisser Umfang an reduziertem Kalorienverbrauch unvermeidlich sein, doch es gibt eine Reihe von Dingen, die Du tun kannst, um diese Auswirkungen abzumildern.
Trainiere mit Gewichten
Die mit Abstand effektivste Maßnahme, die Du treffen kannst, ist ein Widerstandstraining auszuführen. Die offensichtliche Wahl wäre ein Training mit Gewichten, doch auch lediglich mit dem eigenen Körpergewicht ausgeführte Übungen können funktionieren.
Studien haben gezeigt, dass ein Widerstandstraining, bei dem Deine Muskeln Kraft gegen einen Widerstand erbringen müssen, während einer Diät große Vorzüge besitzen kann. Im Rahmen einer Studie wurden 3 Gruppen von Frauen auf eine 800 kcal Diät gesetzt. Eine Gruppe führte kein Training aus, eine Gruppe führte aerobes Training (Cardio) aus und die dritte Gruppe absolvierte ein Widerstandstraining (12).
Sowohl die Gruppe, die nicht trainierte, als auch die Gruppe, die aerobes Training ausführte, verloren Muskelmasse und wiesen eine signifikante Reduzierung der Stoffwechselrate auf. Die Frauen, die ein Widerstandstraining absolviert hatten konnten jedoch ihre Stoffwechselrate, ihre Muskelasse und ihre Kraftlevel aufrecht erhalten.
Dies konnte durch viele andere Studien bestätigt werden. Ein Gewichtsverlust reduziert Muskelmasse und Stoffwechselrate und ein Widerstandstraining kann dies (zumindest teilweise) verhindern (13, 14).
Halte Deine Proteinzufuhr hoch.
Protein ist der wichtigste Makronährstoff, wenn es um einen Gewichtabbau geht. Eine hohe Proteinzufuhr kann sowohl den Appetit (und somit auch die Kalorienzufuhr) reduzieren, als auch die Stoffwechselrate (und somit auch die Menge an verbrannten Kalorien) um 80 bis 100 kcal pro Tag erhöhen (15, 16).
Darüber hinaus kann eine hohe Proteinzufuhr Gelüste und den Drang spät am Abend noch etwas zu essen, reduzieren, und Dich hierdurch dazu bringen, hunderte Kalorien weniger pro Tag zu essen (17, 18). Behalte hierbei im Hinterkopf, dass dies einer Erhöhung der Proteinzufuhr ohne eine bewusste Restriktion von irgendetwas anderem umfasst.
Deine Proteinzufuhr ist übrigens auch wichtig, um unerwünschte Nebenwirkungen eines langfristigen Gewichtsabbaus zu reduzieren. Wenn Deine Proteinzufuhr hoch ist, dann wird Dein Körper weniger dazu neigen Muskeln zum Zweck der Energieversorgung abzubauen. Dies kann dabei helfen, Deine bestehende Muskelmasse aufrecht zu erhalten, was eine mit einem Gewichtsabbau in Verbindung stehende Reduzierung der Stoffwechselrate zumindest teilweise verhindern kann (18, 19, 20).
Eine Diätpause einzulegen kann helfen
Einige Menschen führen routinemäßig sogenannte Refeeds aus, in deren Rahmen sie ihre Diät für ein paar Tage unterbrechen. An diesen Tagen essen sie geringfügig mehr Kalorien, als sie verbrauchen und setzen ihre Diät einige Tage später fort.
Es gibt Hinweise darauf, dass dies temporär die Spiegel der Hormone wie Leptin und Schilddrüsenhormone erhöhen kann, die während eines länger andauernden Gewichtsabbaus dazu neigen, zu sinken (22, 23).
Es könnte auch nützlich sein, längere Pausen von einigen Wochen Länge einzuplanen. Du solltest jedoch sicherstellen, dass Du während dieser Pausen bewusst isst. Nimm Deine Erhaltungskalorienmenge oder geringfügig mehr Kalorien zu Dir, aber erhöhe die Kalorienzufuhr nicht so stark, dass Du beginnst Fett aufzubauen.
Sei darauf vorbereitet durch die zusätzliche Nahrungsmenge und das erhöhte Wassergewicht ein paar Pfund zuzunehmen. Dies stellt keinen Grund zur Sorge dar, da Du dieses Gewicht schnell wieder verlieren wirst, wenn Du Deine Diät fortsetzt.
Zusammenfassung: Ein Training mit Gewichten und eine hohe Proteinzufuhr stellen zwei wissenschaftlich erwiesene Wege dar, einen Muskelabbau und eine Reduzierung der Stoffwechselrate während des Gewichtsabbaus zu verhindern. Auch eine kurze Diätunterbrechung kann sinnvoll sein.
Ein Gewichtsabbauplateau kann durch viele Dinge verursacht werden
Wenn Menschen mit einer Diät beginnen, können die Fortschritte zu Beginn recht schnell vonstatten gehen. Während der ersten Wochen und Monate wird das Gewicht ohne große Anstrengungen sinken. Später werden sich die Fortschritte jedoch verlangsamen. In einigen Fällen kann sich der Gewichtsabbau so stark verlangsamen, dass mehrere Wochen ohne sichtbare Veränderungen auf der Waage vergehen können.
Ein solches Gewichtsabbauplateau kann viele verschiedene Ursachen (und Lösungen) haben und es muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass Du kein Gewicht verlierst. Wassereinlagerungen können Dir z.B. den Eindruck verleihen, dass Du kein weiteres Körperfett verlierst.
Der Hungermodus ist real
Der Hungermodus ist real, aber seine Auswirkungen sind bei weitem nicht so stark, wie viele Menschen denken mögen. Er kann Deinen Gewichtsverlust im Lauf der Zeit verlangsamen, aber er wird nicht bewirken, dass Du trotz einer Kalorienrestriktion an Gewicht zunimmst.
Es handelt sich auch nicht um ein „ein und aus“ Problem, wie einige Menschen zu denken scheinen. Der Hungermodus stellt vielmehr ein ganzes Spektrum an Anpassungen des Körpers an eine reduzierte oder erhöhte Kalorienzufuhr dar.
Der Begriff Hungermodus ist ein schrecklich inakkurater Begriff. Etwas wie „stoffwechseltechnische Anpassungen“ oder „Verlangsamung der Stoffwechselrate“ wäre deutlich angemessener. Rein technisch gesehen handelt es sich bei diesem Phänomen ganz einfach nur um die natürliche physiologische Reaktion des Körpers auf eine reduzierte Kalorienzufuhr. Ohne diese Anpassungen wäre die Menschheit bereits vor tausenden von Jahren ausgestorben.
Unglücklicherweise kann dieser Schutzmechanismus in einer Zeit, in der eine exzessive Nahrungszufuhr eine sehr viel größere Bedrohung als ein Verhungern darstellt, mehr Schaden anrichten als Nutzen.
Referenzen:
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22535969
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3673773/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7631897/
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- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16002798
- http://www.nature.com/ijo/journal/v28/n1/full/0802461a.html
- http://jn.nutrition.org/content/133/2/411.full
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23446962
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11126336
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3510362
Quelle: https://www.healthline.com/nutrition/starvation-mode#section6