Intelligente Idee, schlechte Resultate Warum Tempovorschriften versagen
Was sind Tempovorschriften
Vor etwa 20 Jahren begannen wir Trainingsprogramme zu sehen, die folgendermaßen beschrieben wurden:
- Bankdrücken
- 4 Sätze a 8 bis 10 Wiederholungen
- 4020 Tempo
- 90 Sekunden Pause
Siehst Du den “4020” Teil? Das ist die Tempovorschrift. Diese vierstellige Zahl bezieht sich auf die Länge der vier Phasen einer jeden Wiederholung, die in Sekunden angegeben wird.
- Die erste Zahl beschreibt die exzentrische Phase (das Absenken des Gewichts)
- Die zweite Zahl beschreibt die Übergangszeit zwischen einer Bewegungsrichtung (exzentrisch) und der nächsten (konzentrisch oder Anheben des Gewichts)
- Die dritte Zahl beschreibt die konzentrische Phase (das eigentliche Anheben des Gewichts)
- Die vierte Zahl beschreibt die Übergangszeit zwischen zwei Wiederholungen
Ein 4020 Tempo bedeutet also:
- Senke das Gewicht in 4 Sekunden ab
- Gehe sofort zur konzentrischen Phase über (die „0“)
- Bewege das Gewicht in 2 Sekunden nach oben
- Gehe direkt zur nächsten Wiederholung über (die letzte „0“)
Ein 3212 Tempo bedeutet also:
- Senke das Gewicht in 3 Sekunden ab
- Halte die gestreckte Position für 2 Sekunden
- Bewege das Gewicht in 1 Sekunde nach oben
- Halte die Position maximaler Kontraktion und spanne die Muskeln bewusst hart an, bevor Du zur nächsten Wiederholung übergehst
Jeder sprang darauf an – inklusive mir
Die meisten der angesehenen Trainer begannen schon recht bald damit, dieses System zu verwenden und einige empfahlen sogar ein Metronom zu verwenden, um das Tempo jeder Wiederholung exakt einhalten zu können.
Als die Tempovorschriften erstmals beliebt wurden, studierte ich Kinesiologie an der Universität. Ich wollte mich selbst wirklich als „Wissenschaftler des Trainings“ sehen, weshalb mich dieser Ansatz, alles zu quantifizieren ansprach. Ich begann damit Tempovorschriften in meine Programme aufzunehmen. Dies gab mir eine weitere Variable, mit der ich spielen konnte, um das perfekte Programm zu finden – diese magische Kombination von Trainingsvariablen, die ein unkontrolliertes Wachstum hervorrufen würden!
Nun, diese Phase dauerte zwei Monate lang an. Dann erkannte ich, dass Tempovorschriften recht nutzlos sind.
Ein dummer Weg vorzugeben, dass man intelligent ist
Eine Menge Trainer lieben Tempovorschriften, weil diese sie intelligent oder wissenschaftlicher erscheinen lassen. Kommt schon Leute! Vergesst bitte nicht, dass das Bewegen von Gewichten keine Raketenwissenschaft ist. Wenn wir über jemanden sprechen, der gut bei diesem Sport ist, verwenden wir Wörter wie Freak, Tier und Monster. Wir verwenden keine Wörter wie präzise, exakt getimt oder rhythmisch.
Trainer suchen häufig nach Anerkennung. Einige versuchen verzweifelt zu beweisen, dass sie zusätzlich zu ihren Muskeln auch ein Gehirn haben. Diese Jungs werden häufig eine übermäßig komplizierte Sprache verwenden, um ihre Ideen zu erklären. Sie vergessen, dass es einen Unterschied zwischen schreiben, sprechen und kommunizieren gibt. Diese Jungs lieben Tempovorschriften aus denselben Gründen.
Andere Trainer wollen ganz einfach nur jede einzelne Variable. Manchmal liegt dies daran, dass sie wirklich daran glauben, dass es am besten für ihre Klienten ist. Aber häufiger als nicht stammt dies von ihrem unterbewussten Wunsch, alles zu kontrollieren und sie fühlen sich deshalb vollständig verantwortlich für die Fortschritte ihrer Klienten.
Das Problem? Jemanden dazu zu zwingen, sich auf die Einhaltung eines bestimmten Tempos zu zwingen, ist ein hervorragender Weg, das Training weniger effektiv zu machen.
Starke Menschen verwenden nur selten Tempovorschriften
Der Akt des Bewegens von Gewichten sollte ein bisschen wie ein Kampf sein. Die Züge, die Du machst sind wichtig, aber wie hart Du trainierst, ist das, was wirklich darüber bestimmt, wie weit Du kommst.
Schau Dir die stärksten Powerlifter an. Es gibt eine kontrollierte Form von Gewalt und Aggression bei ihrem Training. Glaubst Du wirklich, dass sie während der Wiederholungen, das Tempo in ihrem Geist zählen? Die meisten wirklich muskulösen Bodybuilder verfügen über dieselben Qualitäten: sie attackieren die Gewichte förmlich.
Ich kenne keinen einzigen wirklich hervorragenden Bodybuilder, Powerlifter, olympischen Gewichtheber oder Strongman Wettkampfathleten, der routinemäßig sein Tempo zählt. Sicher einmal alle Jubeljahre werden sie eine Trainingsmethode verwenden, bei der sie das Gewicht langsam bewegen und zählen – aber niemals als Teil ihres regulären Trainings.
Ich weiß, ich weiß. Diese Leute sind aufgrund ihrer überlegenen Genetik oder leistungssteigernder Substanzen besser als Du, richtig? Es kann einfach nicht sein, dass sie härter als Du trainieren, richtig? Nun, höre gut zu. Ich bin lange genug in diesem Geschäft, um dies zu verstehen. Ja, einige Freaks schaffen es bis an die Spitze, weil sie genetisch gesegnet sind und ja, Doping hilft enorm. Aber in den meisten Fällen, wenn jemand wirklich die Spitze erreicht (was Muskelmasse und Kraft angeht), war auch eine Menge qualitatives, produktives Training mit im Spiel.
Und wenn jeder an der Spitze etwas tut oder nicht tut, dann sollte dies berücksichtigt werden. Und nahezu niemand hat eine erstklassigen Körper oder Elite Kraftlevel unter Verwendung präziser Tempovorschriften erreicht.
Ich habe einen Profibodybuilder gesehen, der ein Programm verwendet hat, das strikte Tempovorschriften umfasste. Ich sprach ihn darauf an. Er sagte, dass sein Trainer immer diese Tempovorschriften in sein Programm einbaute, aber er sie niemals befolgte.
Trainierende auf hohem Niveau konzentrieren sich auf die richtigen Dinge: hartes Training und bei jedem Satz – und nicht bei jeder Wiederholung – maximale Anstrengungen zu bringen. Sie werden vielleicht langsamere Wiederholungen ausführen oder die Muskeln bewusst härter anspannen, um ein besseres Gefühl in den Zielmuskeln zu erreichen, aber dies ist niemals Teil eine im Voraus geplanten rhythmischen Schemas.
Training in einem Krankenhaus
Wenn alle Emotionen und Instinkte aus dem Training herausgenommen werden, dann bezeichne ich dies als “Training in einem Krankenhaus”. Es ist ruhig, geordnet, steril und fühlt sich übermäßig sauber an. Das Training erscheint tot und emotionslos.
Genau so fühlt sich eine Trainingseinheit an, wenn jedes einzelne Element geplant ist. Es gibt Dir das Gefühl, Dich nicht in der Trainingszone zu befinden. Als Resultat hiervon verliere ich meinen Drive hart zu trainieren.
Das ist der Grund dafür, dass ich immer einige Trainingsvariablen ungeplant lasse. Das Tempo einer jeden Wiederholung und die Pausenintervalle zwischen den Sätzen sind zwei Dinge, die ich nicht streng kontrolliere. Ich lasse diese gerne offen für Modifikationen basierend auf meinen Instinkten und meinem Antrieb für diesen Tag.
Nun, einige Menschen fühlen sich gut, wenn sie einen sehr strikten Trainingsplan befolgen können. Es gibt ihnen eine gewisse Rückversicherung, nimmt die Raterei und Unsicherheit aus dem Training heraus und lässt sie (fälschlicherweise) glauben, dass sie die exakte Formel für maximale Fortschritte befolgen. Aber das Geheimnis für Fortschritte besteht nicht in einem Satz von Variablen auf einem Stück Papier – es dreht sich vielmehr alles darum, wie fokussiert und intensiv Du das ausführst, was auf dem Plan steht.
Alles was Deinen Fokus und Deine Intensität beeinträchtigen kann, wird zu schlechteren Resultaten führen. Und Tempo Vorschriften bewirken genau das.
Du konzentrierst Dich auf die falschen Dinge
Sagen wir, dass Du einen Satz schwere Kniebeugen ausführen willst – einen Satz mit Deinem 3RM Gewicht. Du bewegst Dich unter die Stange, putscht Dich mental für den Satz auf und hebst das Gewicht mit einer aggressiven Bewegung aus der Ablage. Du trittst einen Schritt zurück und bereitest Dich darauf vor, mit dem Gewicht zu kämpfen. Das schwere Gewicht komprimiert bereits Deine Wirbelsäule, so dass Du alle Muskeln anspannst, um gegen das Gewicht anzukämpfen. Dann beginnst Du, Dich nach unten zu bewegen und…
Stop. Was denkst Du genau in diesem Augenblick? Denkst Du “Okay, das Programm besagt, dass ich mir für die Abwärtsbewegung 4 Sekunden Zeit nehmen soll. Eins, zwei, drei, vier…pausiere für eine Sekunde und bewege das Gewicht dann nach oben…Und eins, zwei…“
Oder denkst Du „Halte die Spannung und besiege das Gewicht!“
Ich kann Dir garantieren, dass 99,9% der Trainierenden, die brauchbare Resultate bezüglich Kraft und Muskelmasse erreicht haben, letzteres denken. Ersteres wird von Menschen verwendet, die zu schwach sind, um bei Kniebeugen ein Gewicht zu verwenden, das intensiven Fokus und mentale Aggression erfordert.
Wenn Du Dich unter einem schweren Gewicht befindest, dann ist es völlig unmöglich, dass Du daran denken kannst, die Sekunden einer jeden Phase der Bewegung zu zählen, ohne dass dies Deine Übungsausführung beeinträchtigt. Das ist verdammt noch mal nicht möglich. Du kannst Deinen Fokus besser nutzen, wenn Du Dich vielleicht auf einen technischen Schlüsselaspekt konzentrierst oder – was wahrscheinlich effektiver ist - Deine mentalen Ressourcen ganz einfach darauf konzentrierst, gegen das Gewicht zu kämpfen.
Was ist mit Isolationstraining mit leichten Gewichten?
In diesem Fall ist ein Zählen der Sekunden für das Tempo wahrscheinlich weniger schädlich. Du wirst jedoch trotzdem besser damit beraten sein, Dich darauf zu konzentrieren, den Zielmuskel so hart wie möglich anzuspannen und sicherzustellen, dass er die meiste Stimulation erfährt.
Und betrachten wir das Ganze einmal aus praktischer Sicht. Wenn Du einen Satz mit 12 Wiederholungen ausführst, wirst Du dann wirklich folgendes tun…
- 1... 2... 3... 4; 1... 2... Wiederholung 1
- 1... 2... 3... 4; 1... 2... Wiederholung 2
- 1... 2... 3... 4; 1... 2... Wiederholung 3
...bis Du alle 12 Wiederholungen ausgeführt hast? Es wäre schwierig, sich hierauf zu konzentrieren, wenn Du wirklich hart trainierst, was der Grund dafür ist, dass Menschen, die wirklich intensiv trainieren, dies nie tun.
Ein Zählen des Tempos wird Deinen Satz weniger effektiv machen
Sagen wir, dass Du 8 Wiederholungen mit 70% Deines 1RM Gewichts mit einem 4020 Tempo ausführen willst. Bei Wiederholung 6 angekommen werden Deine Muskelfasern zu erschöpft sein, um ihre Aufgabe mit einem 4020 Tempo auszuführen, aber wenn Du die Dinge etwas beschleunigst (während Du weiterhin eine korrekte Form der Übungsausführung aufrecht erhältst) wirst Du dazu in der Lage sein, diese beiden zusätzlichen Wiederholungen auszuführen.
Was würdest Du tun? Bei 6 Wiederholungen mit einem 4020 Tempo aufhören auch wenn Du weißt, dass Du 2 weitere Wiederholungen schaffen könntest, wenn Du die Dinge ein wenig beschleunigst?
Oder…
Du führst diese beiden Wiederholungen aus, um den Satz zu beenden, indem Du diese Wiederholungen etwas schnell ausführst (ohne abzufälschen). Würden diese beiden Wiederholungen nicht dazu beitragen, Deine Muskeln größer und stärker zu machen, selbst wenn Du von den strikten Tempo Parametern abgewichen bist?
Was ist der Zweck der Trainingseinheit? Eine bestimmte Aufgabe unter Einhaltung einiger präziser Parameter zu vollenden oder ein Muskelwachstum anzuregen?
Tempovorschriften sind nur selten an die Übungen angepasst
Eine Kniebeuge mag einen Bewegungsraum von etwa 60 Zentimetern umfassen. Bei Schulterheben oder Wadenheben wird sich der Bewegungsraum eher im Bereich von 5 bis 10 Zentimetern befinden. Wie kann es dann sein, dass Du dieselben Tempovorschriften bei beiden Übungen verwendest? Vergleichen wir eine Kniebeuge mit einem Bewegungsraum von 60 Zentimetern mit Wadenheben stehend mit einem Bewegungsraum von 10 Zentimetern.
Wenn Du in beiden Fällen ein 4010 Tempo verwendest, dann wird der exzentrische Teil der Bewegung mit folgender Geschwindigkeit ausgeführt:
- 15 Zentimeter pro Sekunde bei Kniebeugen
- 2,5 Zentimeter pro Sekunde beim Wadenheben
Obwohl Du bei beiden Übungen dasselbe Tempo verwendest, wirst Du Dich bei Kniebeugen sechsmal schneller bewegen. Wird dies in beiden Fällen zum selben Typ von Wachstumsstimulus führen? Wahrscheinlich nicht.
Während obiges offensichtlich zu sein scheint, sehe ich immer noch eine Menge Trainier, die Tempos wie 5010 oder 4020 bei Schulterheben und Wadenheben vorschreiben – dasselbe Tempo, das sie für Kniebeugen vorschreiben. Dies zeigt, dass diese Trainer kein korrektes Verständnis davon haben, wie ein Muskel kontrahiert.
Es geht nicht darum, für wie lange sich ein Muskel unter Spannung befindet (was mit dem Bewegungsraum in Verbindung stehen wird) sondern mit welcher Kontraktionsgeschwindigkeit ein Muskel funktionieren muss. Wenn Du schon Tempovorschriften verwenden musst, dann setze sie wenigstens intelligent ein.
Was solltest Du also tun?
Tempo Vorschriften sind eine gute Idee, die falsch angewandt wird. Zu verändern, wie die Wiederholungen ausgeführt werden, kann ein wichtiger Weg sein, den Trainingsstimulus zu variieren und bessere Zuwächse zu erzielen. Dr. Dietmar Schmidtbleicher hat folgendes geschrieben:
"Muskeln werden schneller stärker, wenn sie variierenden Tempos der Übungsausführung ausgesetzt werden, anstatt immer mit derselben Geschwindigkeit trainiert zu werden. Bewegungen mit langsamerer Geschwindigkeit werden das neuromuskulare System aufgrund der Abwesenheit von Schwung einer höheren Spannung aussetzen und hierdurch den Tropismus der Muskelgröße und der Kraft bevorzugt anregen. Ein Training mit hoher Bewegungsgeschwindigkeit mit schweren Gewichten (85 bis 100%) ist ein anderer Weg, ein hohes Level an Muskelspannung zu erreichen, indem eine größere Anzahl schnell kontrahierender motorischer Einheiten rekrutiert wird.“
Dies ist wahr, aber präzise Tempovorschriften sind nicht der Weg der Wahl. Stattdessen solltest Du qualitative Vorgaben für die Wiederholungen anstelle von einem exakten Rhythmus verwenden. Auf diesem Weg kannst Du Dich auf das richtige Gefühl während des Satzes anstatt auf das Zählen der Sekunden konzentrieren.
Ich verwende folgende Anhaltspunkte für den konzentrischen und den exzentrischen Teil der Bewegung:
- Explosiv
- Schnell
- Norma
- Kontrolliert
- Langsam
Ich füge nur dann eine Vorgabe für den Übergangspunkt hinzu, wenn ich will, dass der Athlet in isometrisches Halten mit in die Übungsausführung einbaut. Ich sage „Halte das Gewicht am tiefsten Punkt für 2 Sekunden“ oder „Kontrahiere den Muskel am höchsten Punkt für 2 Sekunden bewusst maximal.“
Ja, das ist länger als einfach nur 4012 aufzuschreiben, aber es liefert dem Trainierenden ein gutes mentales Bild, das es ihm erlaubt, sich auf das Richtige zu konzentrieren. Dies passt außerdem den Rhythmus der Übung an. „Langsam“ kann bei Schulterheben weniger Zeit als bei Kniebeugen bedeuten, aber es wird immer noch langsam sein. Das ist das, was wichtig ist und nicht die Dauer selbst.
Wenn ich also jemandem sage, wie er die Wiederholungen ausführen soll, dann könnte ich etwas sagen wie:
„Senke das Gewicht kontrolliert ab, halte die tiefste Position für eine Sekunde und führe dann eine explosive konzentrische Bewegung aus.“
Oder…
“Führe die Aufwärtsbewegung langsam aus, während Du den Muskel anspannst. Kontrolliere das Gewicht auf dem Weg nach oben, während Du den Muskel hart kontrahierst.“ Siehst Du? Das ist leicht zu kommunizieren, leicht zu verstehen und legt den Fokus auf das Richtige.
Quelle: https://www.t-nation.com/training/smart-idea-terrible-results
Von Christian Thibaudeau